Warum satt sein nicht genug ist

Warum satt sein nicht genug ist!

Über Ursachen von Hunger

Professor Hans Konrad Biesalski (65) ist Ernährungsmediziner und Leiter des Zentrums für Ernährungssicherung an der Universität Hohenheim. Ein Gespräch über die Ursachen und Auswirkungen von Hunger und warum es auch in Deutschland Mangelernährung gibt.

FRage: Weltweit leiden Milliarden Menschen unter verborgenem Hunger. Was verbirgt sich dahinter?

Prof. Hans Konrad Biesalski: Verborgener Hunger ist eine meist durch Armut bedingte und durch einseitige Ernährung hervorgerufene Form der Mangelernährung. Ein Drittel der Weltbevölkerung ernährt sich vorwiegend von stärkehaltigen Lebensmitteln wie Reis, Mais oder Weizen, weil sie billig sind und satt machen. Doch satt sein ist nicht genug. Mangelernährten Menschen fehlt es an Vitaminen, Eisen, Zink, Jod, Selen, Spurenelementen und anderen lebensnotwendigen Mikronährstoffen.

Sterben Menschen an verborgenem Hunger?

Biesalski: Ja. Nach Angaben der WHO sterben jedes Jahr rund sieben Millionen Kinder unter fünf Jahren an den direkten oder indirekten Folgen von Mangelernährung. Doch hinter jedem sichtbar unterernährten Kind stehen zehn weitere Kinder mit Mangelernährung. Das Kind ist schon in den Brunnen gefallen, wenn der Mangel noch nicht mit bloßem Auge zu sehen ist. Ich gehe davon aus, dass es weltweit viel mehr mangelernährte Kinder gibt, als in Statistiken auftauchen.

Aber nicht alle mangelernährten Kinder sterben . . .

Biesalski: Aber wenn sie in den ersten 1000 Tagen nicht adäquat ernährt werden, wachsen sie nicht richtig und bleiben meist ihr Leben lang zu klein und anfällig für Krankheiten. Millionen erblinden jedes Jahr, weil ihnen Vitamin A fehlt. Bei Mangelernährten sinkt die Lebenserwartung massiv. Zudem ist die kognitive Entwicklung eingeschränkt. Mangelernährte Kinder tun sich mit dem Spracherwerb, dem Lesen- und Schreibenlernen schwerer, können sich im Unterricht schlechter konzentrieren, brechen die Schule überdurchschnittlich häufig ab, bleiben deshalb oft Analphabeten und so arm, dass sie später ihre eigenen Kinder nicht gut ernähren können. Das Problem wird so an die nächste Generation vererbt. Es ist ein Teufelskreis.

Gibt's eine Konkurrenz zwischen Tank und Teller?

Biesalski: Ja. Ich halte die jetzige Form der Biokraftstoff-Produktion für den größten Unsinn schlechthin, solange wir kein Konzept haben, das verhindert, dass die Kraftstoffproduktion in Konkurrenz mit der Lebensmittelproduktion steht. Alles, was zur Ernährung beitragen kann, hat in der Kraftstoffproduktion nichts zu suchen.

Welchen Einfluss haben Lebensmittelspekulationen?

Biesalski: Diese Geschäfte können kurzfristig die Mangelernährung steigern. Selbst wenn die Preise nur geringfügig steigen, können Menschen in Entwicklungsländern, die oft über 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen, diese Preisschocks nicht ausgleichen.

Was können Verbraucher in Deutschland tun?

Biesalski: Bewusst einkaufen. Wer es sich leisten kann, sollte keine Jeans für fünf Euro kaufen. Wenn eine Frau den ganzen Tag in einer Textilfabrik schuftet, kann sie in dieser Zeit keine Lebensmittel für ihre Familie produzieren. Wenn sie für die Arbeit in der Fabrik katastrophal bezahlt wird, kann sie auch von ihrem Lohn kein gutes Essen kaufen.

Gibt es auch bei uns verborgenen Hunger?

Biesalski: Nach dem Motto „Es kann nicht sein, was nicht sein darf“ ist das Thema Mangelernährung bei Kindern in Deutschland bislang kaum untersucht worden. Aber es gibt Anzeichen dafür, dass auch bei uns Kinder besonders in armen Familien unzureichend versorgt sind. Entweder haben die Eltern nicht das Geld für eine gesunde Ernährung, oder sie wissen nicht, wie wichtig diese ist, oder beides. Viele Eltern kochen nicht mehr, sondern geben ihren Kindern wenig gesundes Fast Food. Und wer von Hartz IV lebt, kann es sich schlicht oft nicht leisten, sich und seine Kinder gesund zu ernähren.

Quelle: http://www.mainpost.de/ueberregional/politik/zeitgeschehen/Warum-satt-sein-nicht-genug-ist;art16698,8385996